Verblichene Mahnung

An der Flughafenstraße 39 verblasst das riesige Protest-Wandbild gegen die Kahlschlagsanierung.

Das Wandbild heute, Quelle: Jens Sethmann

Das Wandbild 1991, Quelle: I.H.S. Planungsgesellschaft

„Die Axt muss weg“ heißt das Wandbild, das das Künstlerduo Gershom von Schwarze und Silvia Götz im Jahr 1991 gemalt hat. Es ist ein Protest gegen die Kahlschlagsanierung und Stadtzerstörung. Die Flughafenstraße sollte hier einmal erheblich verbreitert werden. Dafür hätten auf der Südseite der Straße alle Vorderhäuser abgerissen werden müssen. Wie das ausgesehen hätte, kann man an der Flughafenstraße westlich der Hermannstraße sehen, deren Breite dort nach einem Bebauungsplan von 1959 verdoppelt wurde. Auch hinter der Hermannstraße wurden schon die ersten Vorderhäuser abgerissen. Für den weiteren Durchbruch bis zur Karl-Marx-Straße hätten noch 18 Häuser mit ungefähr 200 Wohnungen weichen müssen.

„Stadtplanerisch betrachtet war es gelungen, die fortschreitende Stadtzerstörung an der Brandwand des Hauses Nr. 39 zu stoppen“, erinnert sich Gershom von Schwarze heute. An der von Weitem zu sehenden Seitenwand des Hauses sollte deshalb dieses Wandbild entstehen. Die I.H.S. Planungsgesellschaft, die seinerzeit die Häuser Flughafenstraße 33-39 saniert hat, war die Auftraggeberin für das Bild und hat auch den Urzustand des Werks auf ihrer Internetseite dokumentiert.

Illusion als Erinnerung

Zu sehen ist als „Trompe-l’œil“ (Augentäuschung) eine gemalte Häuserzeile, die so erscheint, als würde sie ununterbrochen weiterlaufen. „An die bereits abgerissenen Häuser sollte mit der illusionsperspektivisch fortgesetzten Straßenfassade erinnert werden, um die nicht mehr vorhandene alte Bausubstanz wieder lebendig und vorstellbar werden zu lassen“, erklärt Gershom von Schwarze. Aus größerer Entfernung wird eine darübergestülpte, grobe Holzbalkenkonstruktion erkennbar, auf der eine riesige Axt liegt. Die Axt gemahnt an die dauernde Bedrohung der städtischen Bausubstanz.

Zweisprachiger Appell

Hoch oben sind neben dem Titel „Die Axt muss weg“ auch die türkischen Worte „Yikma Beni“ zu lesen. „Die verbreitete Redensart lässt sich als ‚Reiß mich nicht ein!‘, aber auch als ‚Mach mich nicht fertig!‘ übersetzen“, sagt von Schwarze. „Eine Hommage an einen Großteil der Einwohnerschaft Neuköllns.“

Am Stiel der Axt ist ein Seil befestigt, an dem ein kleiner Mann wie ein Bungeejumper kopfüber zu schwingen scheint. An der Wand waren außerdem zwei sogenannte Prismenwender angebracht – Schaukästen, die durch drehende Lamellen wechselnde Motive zeigen. Ursprünglich sollten auf diesen Werbeflächen Kunststudierende ihre Plakate präsentieren können. Doch für die Prismenwender-Galerie hat sich leider nie ein Betreiber finden lassen. So zeigte man auf diesen Flächen stattdessen Forderungen wie „Umdenken in Planerhirnen – Erneuern ohne Abrissbirnen“ oder „Die Stadt reparieren – ohne Kahlschlag sanieren“.

Gleichzeitig haben die beiden Künstler auch im Hof der Flughafenstraße 33-37 die Wände bemalt. Hier gaukelt das Bild dem Auge Fassaden, Gebäudeecken und Durchgänge vor, wo keine sind. Auf einem Fries, der quer über den Hof zu hängen scheint, steht „Stadtreparatur statt Dekor“.

Mit der Internationalen Bauausstellung 1984/87 hatte sich in Berlin eigentlich die „Behutsame Stadterneuerung“ durchgesetzt. Dennoch war die Mahnung des Wandbildes auch 1991 noch notwendig. So wurden zum Beispiel im Neuköllner Sanierungsgebiet Wederstraße noch Ende der 90er Jahre 60 Wohnhäuser abgerissen.

Vergängliche Kunst

Solche haushohen Wandbilder haben in Europa – anders als etwa in Mexiko – keine lange Tradition. In Berlin entstand am S-Bahnhof Tiergarten 1975 das erste Wandbild: „Weltbaum – Grün ist Leben“ von Ben Wagin. Seither wurden in Berlin über 850 Wandbilder gemalt. Der Berliner Senat hat solche Kunstwerke mit Programmen und Wettbewerben wie „Kunst am Bau“ und „Farbe im Stadtbild“ gefördert. Etliche davon wurden aber wieder überstrichen oder sind inzwischen von Neubauten verdeckt. Auch der „Weltbaum“ ist mittlerweile hinter einem neuen Gebäude verschwunden.

„Die Axt muss weg“ ist nach 30 Jahren stark verblasst und die höher gewachsenen Bäume behindern den Blick. Durch den Neubau an der Ecke Hermannstraße ist die Fernsicht auf das Bild verstellt. Die Schaukästen wurden abmontiert. Wo sie hingen, leuchten die Farben noch etwas frischer. Der Bungeespringer ist kaum noch zu erkennen. Dagegen ist die Malerei im Hof deutlich besser erhalten, weil sie der Witterung weniger ausgesetzt ist.

Die weitere Zukunft des Bildes an der Flughafenstraße 39 ist ungewiss, denn auf dem landeseigenen Nachbargrundstück Nr. 41 ist seit längerer Zeit der Bau von Wohnungen vorgesehen. Konkrete Baupläne gibt es aber noch nicht.