Sichere Räume für Drogenkonsumierende entlasten die Nachbarschaft

Lilli Böwe ist seit August 2021 neue Suchthilfekoordinatorin im Bezirksamt Neukölln. Mit der zusätzlichen Stelle reagierte der Bezirk auf die hohe Belastung durch den Drogenkonsum in Grünanlagen, Hausfluren und U-Bahnhöfen

Quelle: Birgit Leiß

Frau Böwe, was genau ist Ihre Aufgabe? Kann ich Sie zum Beispiel kontaktieren, wenn ich immer wieder Spritzen im Hof finde?

Lilli Böwe: Ja genau. Ich kümmere mich um Nutzungskonflikte durch Drogenkonsum im öffentlichen Raum. Anwohnende, Gewerbetreibende und Institutionen wie Schulen und Kitas können sich mit Fragen, Beschwerden und Anregungen bei mir melden. Übrigens auch wenn es um legale Drogen wie Alkohol geht. Mein Kollege und ich arbeiten mit vielen Partnern vor Ort zusammen und wollen diese Vernetzungsarbeit weiter vorantreiben. Außerdem leisten wir konzeptionelle Arbeit und entwickeln neue Strategien für den Umgang mit dem offenen Drogenkonsum. Es gibt da verschiedene gute Lösungsansätze. Ein weiterer Aufgabenbereich ist die Prävention.

Ist die Situation im Flughafenkiez, etwa am Boddinplatz, besonders schlimm?

Lilli Böwe: Nein, anhand der Spritzenfunde kann man keine überdurchschnittliche Belastung feststellen. Wir machen seit einiger Zeit im Rahmen eines Pilotprojekts ein Spritzenmonitoring, das heißt wir registrieren die benutzten, weggeworfenen Spritzen mit ihren Fundorten. Damit wollen wir uns einen Überblick verschaffen. Insgesamt muss man sagen, dass ganz Nord-Neukölln stark belastet ist und genau deswegen wurde ja beschlossen, eine zusätzliche Suchthilfekoordinatorin einzusetzen. Aber es ist kein Neuköllner Problem, die ganze Innenstadt und natürlich auch andere Großstädte haben damit zu tun. Positiv ist, dass wir hier engagierte Träger der Suchthilfe wie zum Beispiel Fixpunkt haben, die sehr niedrigschwellig arbeiten. Auch die Quartiersmanagement-Teams sind wichtige Partner, weil sie für die Bewohnerschaft oft die ersten Ansprechpartner vor Ort sind.

In welche Richtung gehen die von Ihnen angesprochenen Lösungsansätze?

Ziel ist es, den Konsum auf ein erträgliches Maß zu bringen. Ein Großteil der Konsumierenden ist wohnungslos und hält sich daher zwangsläufig tagsüber auf der Straße auf. Man muss also Orte schaffen, wo sie sich aufhalten können. Ein konkretes Beispiel: in dem von Fixpunkt betriebenen Drogenkonsumraum in der Karl-Marx-Straße 202 gibt es jährlich 5-7000 sogenannte Konsumvorgänge. Diese Spritzen landen nicht im Gebüsch! Außerdem haben wir mittlerweile 12 Spritzenabwurfbehälter im öffentlichen Raum aufgestellt. Zusätzlich verteilt Fixpunkt mobile Abwurfbehälter. Das verringert die Infektionsgefahr erheblich. Das Problem: man erreicht mit solchen Angeboten nicht alle. Viele Konsumierende haben sehr tragische Biografien, sie kommen vielleicht aus anderen EU-Ländern, wo Drogenkonsum extrem negativ behaftet ist. Sie können es sich nicht vorstellen, dass es Räume gibt, wo sie sich völlig legal, unter hygienischen Bedingungen einen Schuss setzen können. Dafür braucht es kultursensible Sprachvermittlung. Das schafft man am besten über Peers, fitte Leute aus der Community, die man an soziale Träger anbindet und die einen ganz anderen Zugang zu den Leuten haben. Durch solche niedrigschwelligen Angebote wollen wir ihnen die Chance geben, einen Fuß ins soziale System zu setzen.

Aber ein Patentrezept gibt es nicht, oder?

Lilli Böwe: Nein, es wird immer Nutzungskonflikte geben, das muss man ganz klar sagen. Aber man kann die Beeinträchtigungen für die Nachbarschaft verringern und ich denke, da sind wir in Neukölln auf einem guten Weg.

Lilli Böwe ist erreichbar unter

Telefon (030) 90239 2380
lilli.boewe@bezirksamt-neukoelln.de


Spritzenfunde können über die Ordnungsamt-App gemeldet werden:www.berlin.de/ordnungsamt-online/mobile-app/Solche Meldungen werden prioritär behandelt, das heißt, in der Regel kommt schnell jemand, der die Spritze entsorgt

Soll man jemanden ansprechen, der sich im Hausflur gerade eine Spritze setzt? Solche und ähnliche Fragen beantwortet eine sehr hilfreiche Broschüre von Fixpunkt. Man kann sie hier herunterladen: www.fixpunktggmbh.org/umsicht-vorsicht-broschuere/