Die 1970er und 1980er Jahre
In den 1970er-Jahren gingen die Bewohner*innenzahlen im Stadtteil erheblich zurück, weil viele alte Menschen starben und junge Familien in besser ausgestattete Wohnungen im Süden Neuköllns zogen. Im Sanierungsuntersuchungsgebiet Flughafenstraße - Anfang der 1990er-Jahre festgelegt und zum Teil mit dem heutigen Quartiersgebiet identisch - sanken von 1968 bis 1982 die Einwohner*innenzahlen von 8.976 auf 7.378 Personen. In die leer stehenden und preiswerten Wohnungen zogen Student*innen und Künstler*innen, darunter einige, die ganz bewusst den unspektakulären Arbeiterbezirk Neukölln den "Szene- und Künstlervierteln" in Kreuzberg vorzogen. Anfang der 1970er-Jahre, die Nostalgiewelle näherte sich ihrem Höhepunkt, entwickelte sich, ausgehend vom Nachlasshandel der legendären Trödel Erna (alias Jannick Ouderhardt), die Flughafenstraße zur bald berlinweit bekannten Trödel- und Antiquitätenmeile. In einer ehemaligen Hinterhoffabrik in der Flughafenstraße 21 siedelten sich Atelier- und Wohngemeinschaften Bildender Künstler*innen an. Frank Dornseif, Reinhard Pods und Barbara Quandt, Rainer Fetting und Salomé, beide Hauptprotagonisten der "Jungen Wilden", und andere zählten zu den Künstler*innen, die hier längere Zeit oder nur vorübergehend wohnten und arbeiteten.
Spiegelbild einer sich wandelnden Bewohner*innenschaft waren Alternativ- und Szene-Kneipen, die in vormaligen traditionellen Eckkneipen des Viertels entstanden. Eines der ersten Lokale, in denen sich Student*innen und Künstler*innen, Gäste mit alternativen Lebensentwürfen unterschiedlichster Art trafen, war das Lokal "Korner" in der Flughafenstraße 38. 1981 eröffnete in der Reuterstraße 7-8 die Kiezkneipe "Sandmann", ehemals Treffpunkt von Schüler*innen, Student*innen und zeitweilig auch Punks und noch heute nicht nur in Neukölln ein Begriff. Eine links-alternative Kneipe war auch das ehemalige "Ton Ton" in der Boddinstraße, dessen Inhaber, Ergün Sen, aus den vormaligen Räumen einer Eckkneipe als erstes die Gardinen entfernte damit man rein und raus schauen konnte. "Mir ging und geht es um das Miteinanderleben offen und ehrlich", wie er rückblickend kommentiert.
In den 1970er-Jahren prägten zunehmend Migrant*innen das Straßenbild im Viertel. Die 1975 erlassene Zuzugssperre für Ausländer*innen in Kreuzberg, Tiergarten und Wedding ließ Arbeitsmigrant*innen und ihre Familien nach Nord-Neukölln ausweichen. Vorwiegend Menschen aus der Türkei, Kurdistan, Kroation, Serbien und Griechenland zogen in die preiswerten Altbauwohnungen im Viertel Flughafenstraße. Den ersten Zuwander*innengruppen folgten seit dem Ende der 1970er-Jahre Flüchtlinge aus den verschiedensten Regionen der Welt, unter anderem auch Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon. In den 1980er-Jahren zogen infolge der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Solidarność-Bewegung auch zunehmend Polen nach Neukölln und in das Viertel Flughafenstraße.
Bis Anfang der 1980er-Jahre führte der Migrant*innenzuzug nicht zu einem Bevölkerungsanstieg im Viertel, da zugleich die Fluktuation im Viertel noch groß war. Am erheblichen Bevölkerungszuwachs, der gegen Ende der 1980er-Jahre im Sanierungsuntersuchungsgebiet Flughafenstraße und im heutigen Quartiersgebiet zu verzeichnen war, hatten vor allem die Migrant*innengruppen bzw. deren Nachfolgegenerationen entscheidenden Anteil. Von 1987 bis 1992 stiegen im Sanierungsuntersuchungsgebiet die Einwohner*innenzahlen von 6.950 auf 8.225, wobei die türkischen und jugoslawischen Bewohner*innengruppen an dieser Entwicklung den größten Anteil hatten. Die türkische Bewohner*innenschaft stieg im Zeitraum von fünf Jahren um 22,8 Prozent.
Der Wandel des Viertels Flughafenstraße in den 1970er- und 190er-Jahren zeigte sich anfangs in ersten türkischen Obst- und Gemüsegeschäften und vereinzelten italienischen und jugoslawischen Restaurants, später in einer türkischen Infrastruktur mit türkischen Vereinen, Reisebüros und Werkstätten. Dass aus Gastarbeiter*innn Einwander*innen geworden waren, spiegelte sich auch im Anfang der 1970er-Jahre für "ausländische Arbeitnehmer*innen" erweiterten Bücherbestand der Stadtbibliothek. Auch das Zentrum für griechische Frauen und ihre Familien To Spiti, das 1980 in der Karl-Marx-Straße 75 eröffnete, war Ausdruck dieser Entwicklung.
Im Verlauf der 1980er-Jahre wurde das Viertel Flughafenstraße zu einem sozial gemischten Viertel - Deutsche und Migrant*innen, Facharbeiter*innen und Student*innen lebten hier. Besser Situierte zogen in den Stadtteil, der mit teilweise sanierten Altbauten und seiner Nähe zu Kreuzberg attraktiv war für eine Klientel, die Bezirke wie Steglitz oder Wilmersdorf als zu unlebendig empfanden. Der Stadtteil befand sich im Aufbruch und profitierte von den großen Sanierungsmaßnahmen der 1980er-Jahre - der Wiederherstellung und Neugestaltung zentraler Plätze und historischer Bauten im Zentrum Nord-Neuköllns. Eine Aufwertung erfuhr das Viertel zudem durch das kulturelle Zentrum, das seit Beginn des Jahrzehnts mit dem neu konzipierten Heimatmuseum Neukölln, der Galerie im Körnerpark, der Neuköllner Oper und dem Saalbau Neukölln im Altstadtzentrum des Bezirks oder nah am Zentrum entstand.